Gerade in der Anfangszeit als Rollstuhlfahrer ist man häufig noch unsicher und gerne mal etwas eingeschüchtert, wenn man gefühlt von jeden angestarrt wird. Mir ging es da anfänglich auf jeden Fall so, was vielleicht auch noch durch meine Hilfsbedürftigkeit etwas gesteigert war. Mein Problem mit der hohen Querschnittlähmung und Hilfsbedürftigkeit, war die Frage, wie viel Hilfe kann ich annehmen und wann wird es lästig?
Die Gedanken
Ihr könnt euch gar nicht ausmalen, was ich mir früher für Gedanken gemacht habe. Zum einen wie ich auf mein Umfeld wirke. Was meine restlichen Funktionen betraf, bin ich schon echt aufgeschmissen und war gerade am Anfang für Alles von anderen Menschen abhängig. Diese ganze Situation hat sich echt negativ auf meinen Selbstwert ausgewirkt, weshalb ich mich häufig extrem minderwertig gefühlt habe und manchmal nicht nach Hilfe fragen wollten. Schließlich wollte ich keine Last für die Anderen sein, so dass sie sich eventuell von mir abwenden.
Erschwerend kam auch noch hinzu, dass ich mir darüber Gedanken gemacht habe, ob ich so bleiben kann, wie ich normalerweise bin. Schließlich habe ich mein ganzes Leben lang schon eine dicke Klappe und habe meinen eigenen Kopf. Aber ich hatte erst seit kurzer Zeit eine hohe Querschnittlähmung und hilflos. Da ich so viel Unterstützung benötige, werde ich wohl teilweise echt innehalten müssen, damit ich diese auch erhalten tue oder? Werde ich eventuell manchmal echt zu Kreuze kriechen müssen, damit man mir hilft oder kann ich weiterhin der sein, der ich nun einmal bin? Wie viel Hilfe kann ich annehmen von den einzelnen Leuten und wann werde ich einfach nur noch lästig? Fragen über Fragen im Kopf und sie zu stellen lohnt sich meiner damaligen Meinung nicht. Die Menschen tun dann alles als kein Problem abstempeln. Dabei sprechen die Gesichtsausdrücke manchmal Bände, wenn man sie um etwas bittet. Klar helfen die Leute gerne, aber irgendwann wird es jeden Mal zu viel.
Dieses ganze nach Hilfe fragen und davon abhängig sein, das hat mir anfänglich echt zu schaffen gemacht. Von unserer aus ca. sieben Leuten bestehenden Reha Clique, war ich derjenige mit den wenigsten Restfunktionen. Somit war ich abhängig von denen, ganz besonders wenn‘s ums Tüten bauen ging. Tatsächlich bin ich aber heute einer von leider nur zweien oder dreien, der seine Ausbildung tatsächlich gemacht hat. Das macht mich heute richtig stolz! Somit haben auf alle Fälle, der laufende Hobby-Querschnitt und ich sogar gemeinsam die Ausbildung gemacht. Dieses war echt ein lustiger Zufall.
Heute blicke ich zwar auf einen schwierigen Weg zurück, dennoch einen erfolgreichen, weshalb ich mich nicht mehr minderwertig fühle. Auch auf die Frage, wie viel Hilfe kann ich annehmen, habe ich eine Antwort für mich gefunden. Wenn jemand ein Problem hat mir zu helfen, dann soll er es sagen. Über so etwas mache ich mir keine Gedanken mehr!
Die richtige Hilfe für den Alltag
Sobald ich im Rollstuhl sitze (aktiv Rollstuhl mit Restkraftverstärker), bin ich bis auf kleine Handreichungen und das Leeren des Katheterbeutels durchaus selbstständig. Somit ist es für mich mittlerweile kein Problem mehr für Kleinigkeiten gerne mal Passanten an zu quatschen, wenn ich das nicht selbst hinbekomme. Man musste halt schon einige Male Leute fragen. Die Verkäufer am Kiosk, dem Imbiss oder in einem ganz normalen Laden sind in der Regel sehr hilfsbereit, wenn man nett fragt. Das kann ich im Übrigen von vielen Menschen sagen, die mir im Leben so begegnet sind. Vielen Dank für Eure zahlreiche Unterstützung, bei dieser Gelegenheit.
Ihr glaubt gar nicht, was es manchen Leuten für eine Freude bereitet, wenn sie jemanden helfen können. Das ist ein faszinierendes Phänomen. Wenn die mir helfen und danach glücklicher sind, dann ist das doch eine WIN-WIN-Situation. So habe ich es wahrgenommen und teilweise auch von anderen Betroffenen mitbekommen. Deshalb kann ich euch nur empfehlen, nehmt die Hilfsangebote an oder quatscht Leute an, wenn ihr mal Hilfe benötigt. So entstehen auch gerne mal wieder sehr nette Momente oder man lernt Leute kennen.
Somit ist das Wesentliche für mich in den ersten Jahren abgedeckt gewesen, lag ja bis zu meiner Umschulung viel im Bett und habe meine Depressionen geschoben. Lediglich wenn man im Bett lag sieht das ganze etwas anders aus, da muss man sich überlegen, was man so braucht, bevor der Pflegedienst weg ist. Sollte es einem nicht gut gehen, dann dauert es teilweise ewig, bis die ersehnte Hilfe endlich kam.
Die ca. 2,5 Stunden Haushalt in der Woche, welche ich anfangs hatte, haben echt nicht den Hering vom Teller genommen. Natürlich kam man einigermaßen klar, aber mehr auch nicht. Sofern die Pfleger mal da waren, sind die nicht unterhalb ihrer geplanten Zeit weggekommen sind. Da waren es noch Leistungen nach Leistungskomplex, die echt eng geplant waren und es durchaus zu Verspätungen kam. Da es damals einfach nur nach Zeit ging und das persönliche manchmal auf der Strecke blieb, habe ich mich echt unwohl gefühlt. Selbstverständlich hat nicht jeder Pfleger mich das spüren lassen, dass die Zeit im Nacken hängt und haben sich wirklich Zeit für mich genommen. Das war eine unfassbare Stütze, zu diesem Zeitpunkt und ich bin jedem einzelnen unendlich dankbar für die Zeit die er bei mir verbracht hat. Mal mehr und mal weniger freiwillig, es hat mir trotzdem auf jeden Fall geholfen.
Eine Lösung muss her!
Es hat mir nur leider nicht geholfen bei meiner Wohnung weiterzukommen oder bei all den ganzen Sachen, welche ich mir so erträumte. Das hat mich stellenweise ganz schön traurig und zusätzlich etwas einsam gemacht. In den ersten Jahren hatte ich keine wirklichen Freunde und in den Jahren danach, gab‘s dann gerne mal die Gedanken, dass man den paar Freunden zu Last fallen könnte. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch keine Assistenz und wusste auch lange Zeit nicht mal, dass es sowas gibt. Obwohl ich durchaus mit meinen damaligen Betreuer und dem Pflegedienst gesprochen habe, um eventuelle Möglichkeiten auszuloten.
Die Sache mit der Assistenz habe ich erst Mitte 2013 bei eigenen Recherchen, zu Unterstützungsmöglichkeiten bei Praktika gefunden. Von der Rentenversicherung habe ich kurz zuvor zu hören bekommen, dass ich als nicht schulungsfähig gelte, wenn ich für ein Praktikum oder die Schulung Unterstützung benötige. Weshalb laut deren Aussage meine Umschulung beendet worden wäre. Um bis zu diesem Punkt zu gelangen habe ich echt eine Menge durchgemacht und sehr lange gewartet. außerdem haben viele Leute mit dazu beigetragen, dass im BFW Hamburg alles möglich zu machen. Das wollte ich es natürlich nicht unbedingt drauf ankommen lassen, weshalb sich dann überraschenderweise eine alternative Lösung meines Problems ergeben hat. Mehr dazu im Artikel Glück ist eine Einstellungssache. Klick
Es kann aber dennoch nicht angehen, dass es in so einem Land wie Deutschland, keine Unterstützungsmöglichkeiten gibt oder diese nicht einfach kommuniziert werden. Mir hat keine Sau etwas erzählt und ich habe mir alles mühsam selbst raus gesucht, sowie selbst angeeignet. Damit andere schneller ans Ziel und die benötigte Hilfe kommen, habe ich übrigens auch diese Seite gemacht. Warum soll nur ich von meinem Wissen profitieren?
Ich muss aber ehrlicherweise auch zugeben, dass ich keine weiteren Beratungsangebote gesucht habe. So bin ich nun mit etwas Verspätung schlussendlich an dem Punkt angekommen, wo ich das nicht mehr in Kauf nehmen wollte, dass ich mich minderwertig fühle, weil ich mich irgendwie als Belastung sehe. Klar kann ich nicht mehr alles usw., es kann aber nicht angehen, dass Freunde dafür aufkommen müssen oder gar die Familie, was bei mir sowieso ein Problem ist. Wenn mein Umfeld es freiwillig macht, o. k. aber nicht, weil sie es unbedingte müssen, da es sonst keiner macht. Mein bester Freund z.B. schneidet ungefragt einfach eben schnell mein Fleisch mit oder hält mir das Bier auch einfach mal hin, obwohl die Assistenz dabei ist. Ich freue mich sehr darüber und er freut sich mit, weil er mir eine Freude machen kann. Da fühle ich mich gar nicht mehr schlecht bei, wenn ich die Geste einfach mal annehme.
Trotzdem nehme ich noch heute ungerne die Hilfe meiner Freunde für wesentliche Dinge in Anspruch, weil‘s einfach nicht deren Aufgabe ist. Sollte es aber mal unbedingt notwendig sein, würde ich da Hilfe bekommen, was mir echt Sicherheit gibt. Ich weiß, dass meine Freunde mir gerne helfen, wenn sie es können, dennoch weiß ich auch, dass eine dauernde Inanspruchnahme ganz schön auf die Freundschaft gehen kann. Das möchte ich einfach nicht. Ein ganz wichtiger Punkt, weshalb ich mich nicht schieben lasse, neben der Selbstständigkeit. Es ist dabei ganz unerheblich, ob es Freunde sind oder meine Assistenz, welche theoretisch dafür bezahlt wird mich zu unterstützen. Warum soll man etwas in Anspruch nehmen, was man selber machen kann und das Leben sogar noch vereinfacht? Wie sich garantiert jeder denken kann, gibt es da natürlich auch wieder ein paar Ausnahmetalente, welche sich lieber schieben lassen, statt eines zusätzlichen Hilfsmittels am Aktivrollstuhl. Solch eine Einstellung kann ich nicht nachvollziehen und werde es nie können. Da würde ich mich sowas von schlecht bei fühlen. Ich gebe es ehrlich zu, beim Waschen lass ich mir auch eben das Gesicht komplett machen. Da geht die Kosten-Nutzen-Rechnung jetzt nun wirklich nicht bei auf, wenn ich das mal eben machen lasse. Das bewegen eines Rollstuhls, das ist nun mal eine ganz andere Hausnummer.
Die persönliche Assistenz
Seit 2014 habe ich jetzt nun persönliche Assistenz und ich kann mein Leben so gestalten, wie ich es möchte. Sei’s in der Wohnung, den Garten oder die Freizeit. Wenn ich etwas machen möchte, dann mache ich es einfach oder besser gesagt, lasse einiges machen. Es hat mich echt aufblühen lassen und ich kann wirklich die schönen Seiten des Lebens genießen, welche mir das Leben beschert. Darum kann ich euch nur empfehlen, dass wenn ihr Hilfe braucht oder auch nur eine Begleitperson, dass ihr Euch persönliche Assistenz holt. Es sagt ja keiner, dass es 24 Stunden am Tag sein müssen. Dieses kann man individuell nach Bedürfnissen mit der Amtsärztin bei der Bedarfsklärung besprechen.
Natürlich geht das ganze nicht von heute auf morgen und braucht man eine gewisse Zeit. Damit die ganzen Anträge gestellt und bearbeitet sind, sowie das mit der Assistenz alles eingespielt ist. Außerdem kann das für einen selbst eine Umstellung sein, bis man selbst damit klar kommt. Schließlich ist es ein Eingriff in die Privatsphäre. Nichtsdestotrotz geht mein Leben durch die Assistenz in die richtige Richtung und ich habe nicht mehr das Gefühl, dass ich anderen zu Last falle. Da mein Bedarf über die persönliche Assistenz abgedeckt ist und ich nun frei über mein Leben entscheiden kann.
Solltet Ihr das Gefühl haben, dass sich etwas in eurem Leben ändern soll und ihr wisst nicht wie, dann nehmt die unterschiedlichen Beratungsangebote an. Ein paar gute Anlaufstellen findet ihr hier. Klick
Für jedes nichtgesundheitliche Problem gibt es eine Lösung, das habe ich gelernt. Für viele gesundheitlichen Probleme gibt es selbstverständlich auch eine Lösung, nur leider nicht für jedes. Schlussendlich muss man nur nach Hilfe fragen und den Weg dann auch gehen. Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg.
Was für Erfahrungen oder Gedanken habt ihr mit Hilfe annehmen? Schreibt es mir gerne in die Kommentare.